Odysseia
Die Künstlerinnen Tea Makipää und Monika Thomas sind auf dem Land aufgewachsen. Mäkipää in Mäntyharju (Finnland) und Thomas in Beschling-Nenzing. Beide Künstlerinnen sind sehr viel gereist und haben auch das Landleben in anderen Ländern für längere Zeit kennen gelernt. Sie begegneten sich in Australien und erkannten, dass sie ein starkes gemeinsames Interesse an Umweltthemen haben. Ihre unterschiedlichen Lebensumstände und Geschichten haben dazu geführt, dass ein Treffen zwischen ihnen immer zu einem lebhaften Dialog führt.
Nenzing, eine Marktgemeinde mit rund 6.500 Einwohnern in Vorarlberg, bot Zeit und Raum um ihre ortsspezifische Installation "Odysseia" entstehen zu lassen. Auf einem 1,4 km langen Weg, der von der Artenne Nenzing zum Dinna/Dussa-Festivalgelände (Kultursteg Walgau) führt, sind 16 Wegweiser" installiert. Die Freiluftausstellung wurde von den Künstlerinnen in Zusammenarbeit mit Helmut Schlatter, Obmann und Kurator der Artenne Nenzing, entwickelt.
Spaziergänge im Grünen lassen uns die Probleme des Alltags vergessen. Doch unsere Gedankenflut verstummt deswegen noch lange nicht. Im Gegenteil, oft werden wir mit frischen Reizen versorgt: Neue und ungewöhnliche Anblicke, Gerüche, Geräusche, Texturen, Bewegungen, Gefühle und Gedanken strömen auf uns ein. Die verstärkte Durchblutung des Gehirns erhöht unsere Fähigkeit zu fantasieren, und somit auch aus eingefahrenen Mustern auszubrechen. Tea Mäkipää und Monika Thomas machen sich diese Naturphänomene zunutze, indem sie scheinbar beziehungslose Fragmente von Zufallsinformationen (teilweise aus derselben Landschaft entnommen) in der Landschaft platzieren. Diese Wegweiser nehmen Bezug auf die Geschichte des Landes, oder einer verblüffenden geografischen Besonderheit innerhalb und jenseits des Walgaus. Neben sachlichen Beobachtungen, Fantasien und Ängsten gibt es dann auch noch räteromanische Flurnamen mit Übersetzungen. Diese verweisen auf eine Vergangenheit, in der das ländliche Leben sehr beschwerlich und der Ertrag oft mager war.
Jede Landschaft bietet aber mehr als Futter für das Vieh oder einen Raum für Erholung und Unterhaltung. Ein schmaler Pfad durch unsere Kulturlandschaften kann unsere Verbundenheit mit dem Land und seinen Menschen stärken, oder uns entfremden. Das Wandern kann unsere Wahrnehmung schärfen, wir erleben Unbekanntes intensiver, wir müssen um die richtige Sprache ringen, um unsere persönlichen Erfahrungen mitteilen zu können. Ein schöner Fleck Erde kann Heimat sein aber auch extreme Gefühle der Angst und Entfremdung auslösen. (Diese Landschaft ist außer Kontrolle/Der Fall). Man sehnt sich nach einem Zuhause, in dem man sich sich willkommen, geliebt, sicher und geborgen fühlt!
Etwas ironisch oder sogar humorvoll bieten die beiden Künstlerinnen dem ahnungslosen Passanten auch überraschende Lösungen für zeitgenössische Probleme und Fragen an. Denn Wandern ist philosophieren und die Begegnung mit Kunst in der Natur kann in jedem Menschen existenzielle und universelle Fragen hervorrufen. Woher komme ich? Wo bin ich wirklich? Was bedeutet es, in unserer Zeit Mensch zu sein und Mensch zu bleiben? Was bedeutet der Begriff "Heimat" und welche Qualitäten wünschen wir uns von der Heimat? Wer gehört wohin und warum? Wer ist jetzt "dinna" willkommen und wer muss "dussa" bleiben? Welche Fähigkeiten, Kompetenzen und Loyalitäten sollten unsere Entscheidungen bei solchen Fragen leiten, und wer bestimmt letztendlich? Die Künstlerinnen legen nahe, dass unsere Verbundenheit mit der Heimat und die Weite unserer Heimatzone bestimmen, ob wir bereit sind, Verantwortung für unsere Umwelt zu übernehmen, und dass dies - neben anderen äußeren Einflüssen - hauptsächlich unser persönliches Handeln beeinflusst.
Das Leben ist zuweilen schmerzhaft, chaotisch und irritierend. Auch die Informationsflut, der wir in unserem Alltag ausgesetzt sind, ist nicht geordnet, und was wahr und nützlich und was unecht ist, erfahren wir erst später. Wir haben keine Kontrolle über die Flut aus der Medienwelt und es liegt an uns, die für uns relevanten und nützlichen Fragmente herauszufiltern und zu integrieren. Odyssaia ist ein Spaziergang durch die Naturlandschaft in Nenzing. Der Weg vermittelt ein Gefühl der Verbundenheit mit dem Land und das kann eine erdende Wirkung haben.
Die Zusammenfassung aller unter dem Titel Odysseia installierten Fragmente wurden bewusst mit Empathie und einem moralischen Unterton materialisiert. So wandeln wir auf dem Weg einer Kuhprinzessin, eines gescheiterten Dichters, eines nicht ganz schwindelfreien Menschen, einer Verlorenen und wir treffen auf Odysseia, einem kleinen Wieselgeist, der einst in dieser Gegend lebte. Sie schreit uns an, gegen den Müll auf unseren Wiesen zu kämpfen. Der Naturtourismus macht den Bauern zu schaffen, wenn gedankenlose Wanderer die Futternäpfe (Wiesen!) ihrer Nutztiere vermüllen und somit deren Leben und die Lebensexistenz der Bauern bedrohen. Tiere können Plastikmüll oder geschreddertes Aluminium ebenso wenig verdauen wie Menschen, und so sterben jedes Jahr viele Nutztiere an den Folgen von Vermüllung (Littering) der ländlichen Wiesen.
Es geht den Künstlern also nicht darum, den Besucher in einen ästhetischen Rausch zu versetzen, sondern deren natürlichen Gedankenfluss für einen Moment zu unterbrechen, um ihn oder sie auf die Botschaften der Wegweiser aufmerksam zu machen und darüber zu reflektieren. Odysseia ist eine Intervention in der Landschaft und somit in Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Die Künstlerinnen sind sich bewusst, dass ihre Werke auf dem Weg zur Glalätscha ein ähnliches Schicksal erleiden wie oftmals alte Postkarten, oder Internet-Memes auf sozialen Plattformen, wie Facebook, Instagram, Twitter und so weiter. Grundsätzlich ist es aber eine Frage, ob wir wach genug und offen sind, um zu einem Dialog beizutragen. Die Themen Heimat und Umweltschutz sind verflochten. Und gelebt werden unsere Ideen im eigenen Dorf, in der Region und im Land - eben weil globales Denken immer nur auf lokaler Ebene umgesetzt werden kann.
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